Für alle, die das Buch noch nicht gelesen haben, an dieser Stelle ein Auszug zum Hineinschnuppern.

Djilvaul - Vorspiel

In der Mitte des Saales stand ein großer, polierter Steintisch. Eine Spiegellampe schwebte über der Tischplatte und bestrahlte mit ihrem grellen Licht die Frau, die darauf lag. Der Rest des Saales lag im Dunkeln, so dass die Größe des Raumes nicht zu ermessen, aber durch den Klang des Halls zu erahnen war. In den Ausläufern des gleißenden Lichtes, am Rand des Tisches, standen aufrecht und emotionslos zwei Urdgliir. Ihre schmalen Gesichter wirkten in dem Licht kantig und ausgezehrt. Die hohen, kunstvollen Frisuren, zu denen ihre langen Haare aufgesteckt waren, verstärkten diesen Eindruck noch. Das Weiß ihrer eng anliegenden Jacken, unterbrochen nur von den Linien, die das traditionsreiche und komplizierte Schnittmuster hervorrief, ließ sie in diesem Licht unwirklich erschienen. Die Erschöpfung auf ihren Gesichtern war jedoch nur ein Trick des Lichts, denn ein Ra-ula ließ nicht zu, dass man seine Gefühle an seinem Körper ablesen konnte. Dennoch waren sie erschöpft und jeder andere Großmagier hätte dies in ihrer Nähe wenn schon nicht gesehen, so doch gespürt.

Der Arbeitstag der beiden Urdgliir ging zur Neige, viel Magie war durch ihre Körper geflossen und sie wollten ihre Arbeit ein letztes Mal ausführen, bevor sie sich zur Ruhe begaben. Langsam beugten sie sich über die Frau, die starr und willenlos auf dem Steintisch lag. Das blassblaue Gewand, das sie trug, wies sie als Erbsklavin aus, eine Sklavin ohne Verbrechen, in die Sklaverei geboren.

Der jüngere Urdglir nahm eine Nadel aus einem Futteral am Tisch, die etwa so lang wie seine Hand war. Er setzte die Spitze auf die Stirn der Sklavin. Der Ältere führte seine Hände über den Nadelkopf, berührte ihn kurz, bevor beide die Nadel losließen. Die Nadel blieb ohne zu schwanken auf der Stirn stehen. Die Urdgliir stimmten einen monotonen Gesang an. Langsam bohrte sich die Nadel durch die Stirn der Sklavin, bis nur noch die Kuppe zu sehen war. Der Gesang schwoll an, wurde lauter und wechselte schließlich in Summen und Schnalzen über. Endlich verstummten die Urdgliir, fassten sich an den Händen und berührten mit den Daumen den Nadelkopf. Die Nadel drückte sich langsam aus der Stirn und kippte schließlich zur Seite. Da sie die Nadel nicht mehr benötigten, ließen sie sie auf den Boden fallen. Das Klimpern des Aufpralls hallte durch den Raum.

Das Geräusch löste den Bann des Schweigens, der den ganzen Tag auf den Urdgliir gelegen hatte. Der Jüngere blickte seinen Gegenüber an.

Wäre er ein Drache, oder ein Mitglied eines der vielen Feenvölker gewesen, dann hätte er vielleicht in diesem Moment gefragt, wie viele der Sklavinnen, die sie an diesem Tag modifiziert hatten, die Geburt ihres Kindes erleben würden, denn die Manipulation des Erbmaterials war riskant und konnte all zu leicht für Kind und Mutter tödlich enden. Für den Ra-ula war es jedoch eine belanglose Frage und er wusste genug, um sie sich selber beantworten zu können.

Erfahrener aber auch nicht mehr so ausdauernd wie sein Gegenüber, musste sich der ältere Urdglir Erleichterung von seiner Erschöpfung verschaffen, indem er sich mit seinen Fingerkuppen auf der Tischplatte abstützte und so die feste, kalte Energie des Steins in sich fließen ließ. Auch er wusste, wie unwahrscheinlich das Überleben einer genmanipulierten Sklavin war, und deshalb empfand er diese Arbeit nicht als die Freude, als die er seine anderen Aufgaben empfunden hätte. Es erschien ihm sinnlos und teuer. Worin lag der Sinn, gute, ra-ulische Sklaven zu gefährden, um aus ihnen eine kleinere, wertlosere Sklavenrasse züchten zu können.

Er wartete, bis der Jüngere den Starrezauber, der auf der Sklavin lag, gelöst hatte.

Mit einem Blick auf die Sklavin, die auf einen Feen oder Drachen nachlässig gewirkt hätte, beendete jener die letzte Aufgabe des Tages.

Vielleicht konnten sie mit zwei gesunden Kindern rechnen. Zehn wären gut gewesen, aber zwei war wahrscheinlicher, da man nicht davon ausgehen konnte, dass die Sklavinnen besonders sanft und fürsorglich behandelt wurden. Und dabei war es durchaus möglich, dass nicht eine der Mütter überlebte.

Sinnlos.

Die einzige Erklärung, die diesen Operationen auch nur annähernd Sinn verleihen konnte, war jene, die man am Hof hörte, die jedoch mehr ein Gerücht war, und die von niemandem wirklich geglaubt wurde. Ein Seldgli, einer der Zukunftsseher des Großimperators, möge kein Schatten seinen Geist berühren und sein Leben grandios und prächtig in alle Ewigkeit währen, hatte angeblich prophezeit, dass es zu einem Sklavenaufstand kommen würde. Aus diesem Grund seien alle Genmagier beauftragt worden, eine neue Sklavenrasse zu züchten. Diese angebliche Prophezeiung hatte unter den Höflingen zu emotionsgeladenen Diskussionen geführt. Denn es war Sklaven unmöglich zu rebellieren. Ihre Konditionierung machte jeden Gedanken an Tätigkeiten, die nicht dem Herrn dienten, unmöglich.

Beide Urdgliir gingen, wie es ihrem Rang als Großmagier entsprach, bei Hofe ein und aus. Der ältere hatte sich jedoch nie an diesen Diskussionen beteiligt. Seine Zeit des Ehrgeizes war vorbei, weswegen er auch keine Höflinge mehr beeindrucken musste. Er wusste schon lange, dass der Weg zu den Gedanken des Großimperators, möge kein Schatten seinen Geist berühren und sein Leben grandios und prächtig in alle Ewigkeit währen, nicht über die Münder anderer führte, sondern nur über die eigenen Taten und das eigene Wissen. Aber der Jüngere betrieb noch das alte Spiel, hatte noch nicht seine härteren Gefühle an denen der anderen Abgewetzt.

"Verzeiht meinen Einbruch in euer Denken, Yalin Urdyoer." Drachen hatten schon gelacht, als sie auf diese Weise von einem Ra-ula angesprochen worden waren, aber diese Bitte war unter Ra-ula ernst gemeint, denn es war nach allen Regeln des Zeremoniells unhöflich von einem jüngeren einen älteren anzusprechen. Aber so starr Ra-ula ihre Regeln bewahrten und einhielten, so vergebend waren sie, wenn sie gebrochen wurden.

"Es waren keine Gedanken, die ich nicht ein anderes Mal denken könnte. Sprecht, Geran Urdyoer."

Yalin wartete, bis Geran zu ihm aufgeschlossen hatte und zusammen entfernten sie sich langsam aus dem magisch erzeugten Aurafeld, das den Operationstisch umgab. Außerhalb angelangt drehten sie sich kurz um, erwiesen der Aura mit einer kurzen Verbeugung ihre Ehrerbietung.

„Glaubt ihr an die Prophezeiung?" Sie blickten sich nicht an, während sie sprachen, denn ihre Augen waren Blind für ihre Umwelt. Aber sie spürten jeder die äußeren Gedanken des anderen und wussten, dass die Aufmerksamkeit ungeteilt war.

„Es gibt keinen Grund sie zu glauben, außer man sucht nach einer Entschuldigung für das Verbrechen, dass wir an den Sklaven begangen haben."

Und damit war alles gesagt, was es zu sagen gab. Jeder weitere Satz wäre unnötig gewesen, denn beide wussten nun, welche Position der andere vertrat.

Schweigend gingen sie aus dem Saal.

Nachdem die leisen Schritte der beiden Genmagier verhallt waren, richtete sich Sihrihn-Bul-Ár vorsichtig auf und schleppte sich, von der Operation geschwächt, zu den Sklavenunterkünften. Dort angelangt aß sie hastig den bereitgestellten Nährschleim. Die starken Kontrollzauber, die ihren Körper und Geist beherrschten, die ihre Schritte lenkten, ihre Hand mit dem Löffel zum Mund führte und sie auf ihre Liege zum Schlafen zwangen, hätten ihr eigenes Denken vollständige verhindern müssen, konnten aber die Angst um ihr ungeborenes Kind nicht unterdrücken. Erschöpft und mit ihren dunklen Gefühlen allein gelassen, legte sie sich auf das Bett, das sie sofort in einen erfrischenden Schlaf versetzte, der andauern würde, bis ihr Meister sie rief.

In ihren Träumen sah sie einem kleinen Mann, ihren Sohn, wie sie erstaunt erkannte, der mit wutverzerrten Gesicht in einem dunklen Raum stand, mit sich selbst allein, und auf einen unsichtbaren Feind einschlug. Obwohl seine Rasse von ihrem eigenen Volk nur Ildralshi genannt werden würde, wusste sie, dass die Ra-ula ihn verfluchen würden, denn, obwohl er ein Ildralshi, ein Untersklave, war, würde er das Ende der Sklaverei unter den Ra-ula herbeiführen. Und vielleicht den Untergang der Ra-ula selbst. Im Schlaf konnte sie die Tränen weinen, die am Tag von den Zaubern unterdrückt wurden.

Aber am nächsten Morgen, als ihr Meister sie rief, waren die Hoffnung der Nacht und die Liebe, die sie für ihren ungeborenen Sohn empfunden hatte, verflogen, denn sie konnte sich nicht mehr an ihren Traum erinnern.