"Einen Botschafter zu finden" ist eine von vielen möglichen Vorgeschichten zu Ra-ula, sozusagen ein Bonuskapitel.

Einen Botschafter zu finden

Der Botschafter war tot.
Eigentlich Schade.
Was sollten sie jetzt tun? Es hatte immer einen Botschafter gegeben. Obwohl keiner wusste, warum die Ra-ula einen brauchten. Das heißt, kein Feen wusste es. Vielleicht hatte der Botschafter es gewusst. Der Botschafter hatte immer sehr viel gewusst. In den Geburtsgemeinschaften waren sie sich eigentlich einig gewesen, dass seine Erinnerung nicht richtig funktionieren würde. Er hatte sich sogar noch an Ereignisse erinnern können, die mehr als 10 Zyklen zurücklagen. Zum Ende hin konnte man wirklich manchmal denken, er wäre ein Ra-ula gewesen, mal von seinem Fell und seiner Größe abgesehen.
Die Ra-ula mit ihrem Erinnerungswahn.
Es hieß sogar, dass sie ein System erfunden hatten, Erinnerungen an jeden weiterzugeben, ohne sie erzählen zu müssen. Selbst, wenn derjenige, der sich erinnerte bereits tot war. Schon interessant, wenn man es so hörte, aber warum konnten sie nicht einfach die Vergangenheit ruhen lassen? Was war so wichtig an Dingen, die man bereits erlebt hatte? In diesem Zusammenhang: in die Zukunft zu schauen war sehr reizvoll, dass wusste ich, aber so wie die Ra-ula es taten, blieb doch nichts mehr übrig, weswegen es sich lohnen würde, die Zukunft zu erleben. Da war irgendwas wichtiges, was ich zu tun hatte. Was war es noch. Ra-ula – Erinnerung – Botschafter.
Botschafter?
Ach ja. Ein neuer Botschafter. Wen haben wir denn? Cherch? Nein Cherch hatte gerade das Ende seines Zyklus. Es würde mindestens 15 Ringe dauern, bis er wieder zu etwas zu gebrauchen war. Und wenn er sein Kind auch noch aufziehen wollte würde es noch länger für die Welt verloren sein. Wo war jetzt wohl Kremor. Das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, war, als er mir bei der Geburt seines Bruders geholfen hat, das war jetzt wohl schon wieder ein Achtel Zyklus her. Ob ich wohl schon Großvater bin? Könnte sein, er hatte seinen erstes Zyklusende sehr spät gehabt. War wohl ganz gut, dass er nicht da war. Sonst hätten die Ra-ula ihn vielleicht noch gebeten, sich um die ganze Angelegenheit zu kümmern. Warum blieb immer alles an den Leuten hängen, die gefragt wurden. Dabei bin ich noch nicht mal alt, weit davon entfernt ein Ältester zu werden. Nicht, das jemand auf Älteste hören würde. Kein Feen hörte auf den anderen. Zumindest nicht so weit, dass man sich darauf verlassen konnte. Alle waren freundliche, unzuverlässige und neugierige Einzelgänger. Oh, sie liebten es zu tratschen und alle genossen die Zeit der Partnerschaft während des Zyklusendes und die Gemeinschaft in der Zuflucht der Ältesten. Aber jeder Feen sehnte sich schnell wieder nach der Einsamkeit. Das machte die Angelegenheit auch nicht einfacher. Welche Angelegenheit?
Verlixt, was wollte ich noch überlegen? Kann nicht so wichtig gewesen sein. Vielleicht sollte ich erst mal was essen. Diese Blätter dort sehen extrem verlockend aus.

Ich hätte wirklich nicht in die Nähe der Häuser gehen sollen. Jetzt ist mir doch tatsächlich wieder eingefallen, was ich noch zu tun hatte. Wie lange hatte ich es vergessen? Zwei Tage? Offensichtlich nicht lange genug. Also Cherch ging nicht. Kremor? Nein, das tue ich meinem Kind nicht an. Hatte der Ra-ula nicht gesagt, es wäre sehr dringend? Wie konnte so etwas dringend sein? Essen konnte dringend sein. Sex konnte dringend sein. Unbekanntes zu erkunden, konnte dringend sein. Spielen konnte dringend sein. Schlafen konnte sogar sehr dringend sein. So wie jetzt.

Schnell, schnell, schnell. Verdammte Esstesse. Verdammter Mes. Konnte er nicht einmal dort bleiben, wo er sicher war. Haustiere waren schon eine Plage. Aber dass der Mes sich in die Nähe von Esstessen wagte, ging eindeutig zu weit. Einem Feen konnten sie zwar nicht gefährlich werden, aber kleine Hüpfer wie die Mes zerlegten sie in einem Herzschlag. Na, wenigstens hauen die blöden Viecher ab, wenn ich ankomme. Aber wo ist jetzt der Mes.
"Komm zu mir, komm, komm, komm."
"Suchst du den kleinen hier?"
Ah das ist doch einer von den jungen Streunern. Wie war doch sein Name ...
"Ja, das ist er. Hat der Schlingel ja noch mal Glück gehabt. Komm zu Papa."
Er hat höchstens seinen zweiten Zyklus hinter sich.
"Was machst du hier in der Nähe der Ra-ula?"
"Ich wollte sie nur mal anschauen. Shaljel Githon." Er nickte kurz zur Begrüßung und ich erwiderte den Gruß. "Das ist dein Revier hier, oder?"
"Ja, aber du kannst gerne ein bisschen bleiben. Die Ra-ula sind nicht sehr interessant. Groß, langsam und nie zu Späßen aufgelegt. Es ist besser, nichts mit ihnen zu tun zu haben. Sie haben nur schlechten Einfluss und bringen Schwierigkeiten."
"Ach, wirklich?"
"Ja, ja, wenn ich’s dir sage. Erst neulich war einer da, der was von mir wollte."
"Ts, ts, ts. Warum lassen sie dich nicht einfach in Ruhe? Du tust ihnen doch auch nichts."
"Genau dasselbe habe ich mir auch gedacht. Und weißt du, was er wollte?"
"Keine Ahnung."
"Er wollte, dass ich jemanden bestimme, der aus unserem Volk Botschafter bei ihnen wird."
"Nein?"
"Doch doch, wenn ich’s dir sage."
"Und was hast du gemacht?"
"Versucht, mir jemanden zu überlegen. Aber du weißt ja, wie das ist. Man kommt zu nichts."
"Ja, ja. Ständig beschäftigt, kenn ich. Trotzdem würde mich schon interessieren, wie die so sind, die Ra-ula, weißt du. Der alte Rejin hat mir schon vorgeworfen, ich sei zu ra-ulisch. Und jetzt möchte ich einfach etwas über sie wissen, damit ich endlich beweisen kann, dass ich nicht ra-ulisch bin."
"Dann bewirb dich doch mal für die Stelle des Botschafters, wenn‘s dir Spaß macht. Kannst sonst ja immer noch abspringen."
"Gar keine schlechte Idee. Was macht so ein Botschafter?"
Huch, was ist denn das für einer? "Wo du mich so fragst, ich weiß es gar nicht genau. Sich anhören, was die Ra-ula wollen und anschließend kucken, ob es jemanden gibt, den es angeht, nehme ich an." "Hört sich nicht so schwierig an." "Aber wohl doch sehr langweilig. Der Botschafter, ich meine, der der jetzt tot ist, hat mal gesagt, dass er dazu mehr als 2000 Herzschläge in so einem Raum sitzen musste." "Kann ich gar nicht glauben. Wie hat er das ausgehalten?" "Er war halt der Botschafter." Viel mehr brauchte ich nicht zu sagen. Der Botschafter hatte sich herumgesprochen. Er nickte und wandte sich um. "Na, dann muss ich mal wieder. Bis dann und danke für den Tipp. Grüß deine Kinder, besonders Kremor und unser Kind." Ein letzter Blick über seine Schulter und mit ein paar Sprüngen war er wieder im Wald verschwunden.
"Viel Spaß auch bei den Ra-ula, " rief ich ihm nach. Er hat ein Kind mit Kremor? Das ist ja interessant. Vielleicht sollte ich ihn mal aufsuchen. Na, zeigt sich mal wieder, dass sich alle Probleme von allein lösen. Blöde Ra-ula mit ihrer Planerei.